Karolin Meunier

Der Grund, warum ich diese Sätze sage, liegt ja nicht bei mir.


6. Juni 2015, 15:00–19:00 Uhr



„Lass, ich hätte beinahe gesagt, lass das alles. Was liegt daran wer spricht, jemand hat gesagt, was liegt daran wer spricht“, möchte man mit Samuel Beckett auf den Titel antworten, den Karolin Meunier für ihre Ausstellung in der Bibliothekswohnung gewählt hat. 


Die Werke von Karolin Meunier kreisen um Sprache und Stimme. Neben Lecture Performances entstehen Hörbilder, Sprachcollagen, Buchobjekte, Audiofilme und Filme. In ihren jüngeren Arbeiten stellt Meunier Interview-Situationen her, die sie anschließend so bearbeitet, dass sie zwischen Dokumentation, Repräsentation und der Als-ob-Handlung des fiktionalen Diskurses hin- und herzuspringen beginnen.


Karolin Meunier stellt in der Bibliothekswohnung den Film Anfangsszene und das Hörstück 1:1 – Aufführung eines Interviews gegenüber. 


In der Blackbox des Filmvorführraums ist die junge Schauspielerin Ceci Chuh auf der Leinwand zu sehen, wie sie auf Fragen der Filmemacherin antwortet und genau darüber spricht: über das physische Agieren vor der Kamera für den Blick der Betrachter/innen sowie das Vorsprechen für eine Rolle. Am Ende führt sie eine Sprachübung vor, die authentisch wirkendes Sprechen trainiert: somit eine Technik, die zu Natürlichkeit in der Inszenierung verhelfen soll. Ausgedehnte Dunkelphasen zwischen einzelnen Szenen, in denen nur ihre Stimme zu hören ist, verbinden das Gehörte mit dem eben noch Gesehenen. Aus Ceci Chuhs Performance kristallisiert sich ein abstraktes Porträt der Schauspielerin heraus. 


Im White Cube des Audioraums nebenan ist das Hörerlebnis hingegen faszinierend körperlos, während die beschriebenen Dinge zu einem Eigenleben erwachen. Die Audioarbeit 1:1 – Aufführung eines Interviews markiert vor allem Spuren und Fährten: Das Hörstück ist der Nachklang von einem 2009 geführten Gespräch zwischen Karolin Meunier und Helene Appel, das von Meunier bearbeitet und erneut, nur mit ihrer eigenen Stimme, eingesprochen wurde. Der Gesprächsinhalt legt eine Fährte zu Helene Appels Malerei und ihren Werken, die zum Teil 2007 in der Bibliothekswohnung zu sehen waren. Die Malerei von Helene Appel thematisiert vor allem die Malerei selbst. Zugleich wird die Immaterialität des erweiterten Bildraums durch die illusionistisch gemalten Abbildungen irritiert: Die Dinge beginnen, sich vom formalen Metadiskurs zu emanzipieren. Auch im Gespräch über das Malen drängen sich die Gegenstände selbst in die Wahrnehmung.


A: Hat es mit Repräsenation zu tun? / B: Wenn Äste die Kompetenz haben, wie Schnitte zu sein? / A: Ja. / B: Es ist nichts, was sich zur Schau stellt.


Karolin Meunier spricht die Sätze des Interviews in einer eigenen Intonation und Rhythmisierung nach, die ihrem Umgang mit Sprache und ihrem Spiel mit dem performativen Sprechakt entspricht. Performativität ist an den Körper gebunden. Wenn hier die Stimme den Text wie mechanisch wiedergibt, klingt Donna Haraways Cyborg-Metapher an und das damit einhergehende Verwischen der Unterschiede zwischen Mensch und Maschine, zwischen Gender-, Rassen- und Klassenunterschieden. 


Und doch geht es in diesen Arbeiten nicht nur um das Auflösen von Grenzen, sondern vielmehr um Paradoxien, wie etwa die Fähigkeit des körperlosen Mediums Hörspiel die Körperlichkeit der Stimme hervorzuheben oder die Überlegenheit der Dinge gegenüber der Rede über sie. Der Auftritt von Ceci Chuh oszilliert zwischen Schauspielerei, Performance und eigener Person. Meunier selbst vereint in ihrer Interview-Interpretation gegensätzliche Blickwinkel auf sich und ihre Gesprächspartnerin. In der Aufführung realisiert sich so ein drittes Element zwischen Privatheit und Öffentlichkeit.


Karolin Meuniers Arbeiten agieren als Vexierbilder zwischen verschiedenen Gattungen, zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, zwischen Sprecher/innen- und Hörer/innenposition, zwischen Souveränität und Ausgeliefertsein, zwischen Inhalt und Form, um so für Grundthemen unserer Zeit zu sensibilisieren – in der soziale Medien die eigene Identität zu einem handelbaren Gegenstand werden lassen.


Subjekt oder Objekt: Karolin Meunier fragt danach, wer spricht, wie das Selbst inszeniert und das Humane konstruiert wird und in welcher Relation wir zu anderen Personen in verschiedensten Kommunikationssituationen stehen. 



Karolin Meunier (*1975) studierte bildende Kunst und Literaturwissenschaft in Hamburg und war Researcher an der Jan van Eyck Akademie Maastricht. Sie lebt und arbeitet in Berlin und München, wo sie als künstlerische Mitarbeiterin an der Akademie der Bildenden Künste tätig ist. Ihre Arbeiten waren u.a. im Neuen Berliner Kunstverein, bei Les Complices in Zürich, in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen, im Künstlerhaus Stuttgart, im Museum Ludwig, Köln, im Bonner Kunstverein und im Lenbachhaus München zu sehen. 


Der Film Anfangsszene (2015) wird im Rahmen des von Maxa Zoller kuratierten Filmprogramms der Art Basel am 16. Juni 2015 im Stadtkino Basel gezeigt.



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http://karolinmeunier.org/



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Der Grund, warum ich diese Sätze sage, liegt ja nicht bei mir.


6. Juni 2015, 15:00–19:00 hrs

Anna-Catharina Gebbers | Bibliothekswohnung, Ziegelstr. 2, 10117 Berlin


Karolin Meunier, Anfangsszene (Opening Scene), HD Video, 7:45, 2015